Katja Meier: Echte Bürgerbeteiligung fördert die Akzeptanz von politischen Entscheidungen und ist mehr wert als Pseudo-Dialoge

Rede der Abgeordneten Katja Meier zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
„Bürgerbeteiligung in Sachsen erleichtern“ (Drs. 6/1758)
22. Sitzung des Sächsischen Landtags, 08. Oktober 2015, TOP 7

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wenn ich Sie jetzt fragen würde, wer das Bürgerbeteiligungsportal „buergerbeteiligung.sachsen.de“ kennt, würden sicher nur sehr wenige Arme nach oben gehen. Leider sehen Sie dort bisher eher, wie Bürgerbeteiligung nicht funktioniert. Vielleicht sollten Sie einmal über den sächsischen Tellerrand schauen. Denn es gibt in anderen Bundesländern einige tolle Beispiele, wie man so ein Beteiligungsportal nutzen kann. Allen voran natürlich Baden-Württemberg. Dort finden Sie diverse aktuelle Gesetzes- und sonstige Vorhaben der Landesregierung, die die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen versehen können. Zudem werden auch aktuelle Bürgerbeteiligungsverfahren aus den Kommunen vorgestellt.

Bürgerbeteiligung ist ein immerwährender Dialog, eine immerwährende Streitkultur. Sie beginnt deutlich früher als die eigentliche Normengebung im Parlament, wie sie es uns in der Stellungnahme zum Antrag weismachen wollen. Sie ist Gesetzesinitiativen vorgelagert oder ergänzt diese.

Wenn Sie sich im Land umschauen und den Leuten zuhören – die Wahlkreisabgeordneten der CDU machen das ja jeden Tag, wie sie uns hier immer berichten – dann merken Sie, dass die Menschen sehr wohl an Politik interessiert sind.
Aber alle fünf Jahre zur Wahl zu gehen, reicht ihnen nicht mehr. Sie wollen mehr direkten Einfluss. Sie wollen früher und besser in Entscheidungen eingebunden werden.
Oft haben sie großes Fachwissen, sei es zum Umwelt- oder Naturschutz, zur Energie oder beim Verkehr. Woran es aber vielen fehlt, ist das politische Verständnis. Und genau das macht es schwierig. Oft gibt es eben nicht nur DIE eine Lösung, sondern viele, oft auch widersprüchliche Interessen, die betrachtet werden müssen. Die Aufgabe der Politik ist es, diese abzuwägen und eben nicht dem Recht zu geben, der am lautesten schreit.
Akzeptiert die Bevölkerung aber immer weniger die Entscheidungen der Regierung, verliert die Demokratie an Macht. Vertrauensverlust und Unzufriedenheit machen es dann antidemokratischen Kräften leicht, politischen Einfluss zu gewinnen. Dass das eine große Gefahr ist, muss ich Ihnen nicht sagen. Das sehen sie jeden Montag und nunmehr nicht nur dann.

In Sachsen herrscht ein jahrelanger staatlicher Paternalismus. Erst am Samstag bei den Festreden zum 3. Oktober habe ich es wieder gehört: Politik muss sich kümmern. Ich möchte nicht vom Staat umsorgt werden, vielmehr sollte er durch Rahmenbedingungen die Menschen befähigen, ihre eigenen Stärken zu definieren und zum Wohle der Gesellschaft gewinnbringend einzusetzen.
Ich habe aber den Eindruck, dass genau das gar nicht gewünscht ist, sondern die Bürgerinnen und Bürger mit vermeintlichen Dialogangeboten beruhigt werden sollen, anstatt ihnen ernsthafte Angebote zur Beteiligung zu machen. Dieses Verhalten von Seiten der seit 25 Jahren geführten CDU-Regierung führt sichtbar in die Sackgasse.

Dafür ist es aber notwendig, dass Entscheidungen transparent sind. Wichtige Gesetzesinitiativen oder politische Planungen müssen veröffentlicht und auch allgemein verständlich erklärt werden.
Mit Ihrer Bürgerbeteiligungsplattform haben sie eine wirklich gute Grundlage geschaffen – das muss ich an dieser Stelle sagen. Die Nutzeroberfläche bietet zahlreiche Möglichkeiten für Debatten und ist weitgehend bedienfreundlich ausgestaltet.

Das große ABER muss ich jedoch gleich hinterher schieben. Denn ein Dialogportal lebt davon, dass dort auch ein Dialog stattfindet. Hiervon fehlt momentan jede Spur.

Ich habe den Eindruck, Sie wollen überhaupt nicht mit den Menschen über ihre politischen Planungen und Gesetze diskutieren und haben, weil man das ja heute so tut, für teures Geld eine Plattform bauen lassen, die sie aber nicht nutzen. Der Volksmund nennt so etwas Feigenblatt. Frei nach dem Motto „wir bieten doch hier was an, aber wir können ja nichts dafür, wenn die Menschen es nicht nutzen“.
Da sage ich Ihnen: NEIN. Natürlich können sie was dafür.
Ich erkläre Ihnen auch warum: Kaum eine Sächsin oder ein Sachse kennt das Portal. Es gibt keine Werbung dafür.
Ich fordere sie auf: Machen Sie ernst und zeigen Sie den Willen zu einer partizipativen Politik. Machen Sie eine Informationskampagne zu den Möglichkeiten des Portals.

Außerdem müssen Sie auch tatsächlich Themen und Gesetzentwürfe zum Diskutieren einstellen. Daran hinkt es nämlich momentan. Richtig ist, dass vor zwei Tagen Staatsministerin Klepsch die Onlineplattform für die Diskussion zum Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention frei geschaltet hat. Das ist doch sicher kein Zufall! Wenigstens das scheint unser Antrag bewirkt zu haben. Paradox bleibt allerdings, dass genau zur Diskussion über die UNBRK das Portal für behinderte Menschen nicht zugänglich ist. Wir haben als GRÜNE-Fraktion eine blinde Frau gebeten die Seite zu testen. Ihr Urteil war eindeutig: die Seite ist nicht barrierefrei. Es fehlen zum Teil die einfachsten Navigationspunkte wie Überschriften und die Links sind zum Teil nicht mit Alternativtexten versehen. Auch gibt es keine Erläuterungen in leichter Sprache. Ich fände es angemessen, dass Sie hier noch mal nacharbeiten.

Es hilft nicht zu sagen, wie sie es in der Stellungnahme erklärt haben, dass jedes Ministerium selbst dafür verantwortlich ist, was es im Portal diskutiert. Ich glaube, Ihr Problem sind der fehlende Wille und die fehlende Haltung in diesem Punkt. Schätze ich es, wenn ich Hinweise von außen bekomme? Bin ich bereit, mich auf Diskussionen einzulassen oder nicht? Wahrscheinlich werden sich auch Leute beteiligen, deren Meinung oder Forderung am Ziel vorbeischießen, die andere Meinungen oder Fakten gar nicht hören wollen. Keiner hat behauptet, dass Diskussionen und Bürgerbeteiligung einfach sind. Sie sind anstrengend und zeitraubend. Aber ist das nicht allemal besser, wenn Bürgerinnen und Bürger die Gesellschaft, in der sie leben, mitgestalten wollen – anstatt sich frustriert abzuwenden?

Und damit wären wir bei einer weiteren Frage. Ist es nicht an der Zeit, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern ein Leitbild zu entwickeln, wie Bürgerbeteiligung auch jenseits von einer Onlineplattform funktionieren kann? Wäre es nicht sinnvoll, gemeinsam zu überlegen, wie Bürgerbeteiligung stattfinden kann? Wie können auch Bevölkerungsgruppen erreicht werden, die bisher wenig vertraut mit der Teilhabe an (verwaltungs)politischen Prozessen sind?

Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, sich in einen solchen Prozess zu begeben. Die repräsentative Demokratie wird dadurch nicht geschwächt, sondern aufgewertet.

Springen Sie über Ihren Schatten. Sie können dabei nur gewinnen. Denn Bürgerbeteiligung fördert die Akzeptanz von politischen Entscheidungen: Menschen sind eher bereit, Ergebnisse zu akzeptieren, mit denen sie inhaltlich nicht einverstanden sind, wenn sie vorher angehört wurden und die Möglichkeit zur Mitsprache hatten. Eine echte Bürgerbeteiligung ist mehr wert als irgendwelche Pseudodialoge!

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